Montag, März 03, 2008

Die Tagebücher der Anaïs Nin (1931 - 1934)

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Sooft ich in Montmartre den Bus verließ, konnte ich die Musik von den Karussells am Rummelplatz hören, und meine Stimmung, mein Gang, mein ganzer Körper wurden von dieser Heiterkeit mitgerissen.

Ich schlüpfte in eine Seitenstraße, klopfte an ein düsteres Tor, das von einer unfrisierten Concierge ge­öffnet wurde, und lief die Stufen hinab zu einem großen Raum unter dem Straßenniveau, einem riesigen Kellerraum mit Spie­geln an den Wänden. Die kleinen Mädchen vom Opernballett probten dort.

Auf der Treppe hörte ich schon das Klavier, stampfende Füße und die Stimme des Ballettmeisters. Wenn das Klavier aussetzte, erhob sich seine scheltende Stimme und ein Gewisper von schwächeren Stimmen.

Bei meinem Eintritt löste sich die Klasse auf, und ein Windstoß kleiner Mädchen wischte an mir vorbei, in ihren verschlissenen Ballettkostümen, lachend, flüsternd, wie Motten dahinflatternd in ihren staubigen Tanzschühchen, Schneewirbel in der Weite des dunklen Rau­mes, und die Anstrengung stand ihnen noch in Schweißtröpf­chen auf der Stirn.

Ich lief mit ihnen durch die Korridore zu den Umkleideräumen, die wie Gärten aussahen mit all den Ballett­röcken und den spanischen Kostümen, die über den Stangen hingen. Die Luft war übersättigt mit dem Geruch nach Ge­sichtscremes, Puder und billigem Kölnischwasser.

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Die Tagebücher der Anaïs Nin (1931 - 1934)
Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 1981, S. 283-284